MY PICTURE MAGAZINE presents Wolfgang B. Kampz SELECTED WORKS, 128 Seiten, 20,5 x28 cm, € 25,--, 2018
EDITORIAL: Es war einer der letzten Tage im Spätsommer. Etwas Herbst lag schon in der Luft & mein Handy App hatte für den späten Nachmittag Regen angesagt. Ich war mit dem Rad in Altona unterwegs. Der Himmel blieb blau, bis ich auf der Höhe von IKEA war, dann fielen die ersten Tropfen. Auf dem Gehweg stand ein BISLEY Schrank mit einem Zettel „ZU VERSCHENKEN“. Irgendwie machte mich das traurig. Das Ende des Sommers, der Regen, IKEA, der BISLEY. Als ich anfing zu fotografieren waren drei Dinge in jedem Fotostudio unverzichtbar: ein Roladex mit allen wichtigen Adressen von Modellagenturen, Bildredaktionen, Kurierdiensten, Fotolaboren, ect., ein Anrufbeantworter von Panasonic & ein BISLEY Schrank. Der BISLEY war fast wichtiger als die Nikon F3, oder eine Hasselblad. Eine Kamera konnte man sich zur Not leihen, einen Schrank nicht, denn der BISLEY war das Herzstück des Studios. Bildarchiv, Schreibtisch, Ablage, Buchhaltung, das Gehirn. Einen Roladex benutze ich schon lange nicht mehr, der AB war auch irgendwann kaputt & ich immer erreichbar. Den BISLEY habe ich noch heute. Der BISLEY ist die Cloud, das Time-Machine Backup, der analoge Palast meiner Erinnerung.
Allein auf facebook sind über 250 Milliarden Fotos hochgeladen, 350 Millionen kommen täglich dazu & auf Instagram werden von über 800 Millionen Nutzern ca. 40 Milliarden Bilder geteilt. Tendenz steigend & während ich die Zahlen aus dem Netz kopiere, sind sie schon nicht mehr aktuell. Das passt in keinen BISLEY Schrank. Alle wollen das neue iPhone, smart, sexy & mit Gesichtserkennung.
„Die Photographie ist eine wunderbare Entdeckung, eine Wissenschaft, welche die größten Geister ange- zogen, eine Kunst, welche die klügsten Denker angeregt – und doch von jedem Dummkopf betrieben werden kann“. (Nadar, 1856)
An was werden wir uns erinnern & welche Bilder werden das kollektive Bildbewusstsein zukünftig prägen? „Erinnerungen verblassen nicht mehr. Erinnerungen an Menschen & Orte lösen sich auf. Farbkanäle verschieben sich, Bildinformationen informieren nicht, Sie werden gelöscht. MEMORIES ist eine Serie von Fotografien, welche die äußere Welt nicht mehr zeigen. Anders ausgedrückt: „Das Verblassen von Erinnerungen“ ist eine Redewendung, welche sich aus der Fotografie des 19. Jahrhunderts abgeleitet hat, da es in den Anfängen der Fotografie schwer war, das (Ab)-Bild einer Person oder eines Ortes für längere Zeit haltbar auf Papier zu fixieren. Erinnerungen (Memories) an Menschen & Orte lösen sich auf, spalten sich in Kolonnen aus Einsen & Nullen“, schreibt Ludwig Seyfarth zur Serie „Über das Ende der Fotografie wie wir sie kennen“.
Auch bei den "Scratchings" geht es um die Dekonstruktion von Fotografie. Wir werfen einen Blick unter die Oberfläche der Welt (der schönen) Bilder, welche schon über die formelle Zerstörung ihrer analogen Haut auf eine vergangene Epoche verweisen.
Die „Shanghi’ed Story“ erzählt von verschwinden & auflösen. Hierzu hat die chinesische Schriftstellerin Mian Mian ein Kapitel aus ihrem neuen Buch „Vanishing Act“ beigetragen, welches hier zum ersten mal abgedruckt wird.
Im „Film Noir“ werden Körper analog zerschnitten & neu zusammengesetzt. „Die Wärter“ der Kunst sieht man nicht, darum werden sie zu digitalen Riesen. Das Cover Girl dieser Ausgabe interessiert sich nicht mehr für die Vergangenheit, hält nichts fest & sucht nach einer politischen Ästhetik in der Gegenwart.
Was bleibt von Erinnerungen, die nicht mehr haptisch abrufbar sind? Kann eine Fotografie einen Menschen noch zu einem Star machen? Sicher. Aber auch unsterblich?
my picture magazine schaut in den BISLEY Schrank.