Sehr geehrter Herr Seyfarth,
es ist heiß, sehr heiß. Ich liege auf einem Bett, an der Decke dreht sich ein Ventilator, der die Luft bewegt. Ich stehe auf um etwas zu trinken, gehe mit dem Zahnputz Becher in der Hand zum offen Fenster, die Hände sind feucht vom Schweiß, das Glas entgleitet ihnen, fällt … „Saigon. Noch immer bin ich in Saigon. Als ich nach meinem ersten Jahr nach Hause kam, war es schlimmer. Da erwachte ich & nichts war da. Wenn ich hier war, wollte ich dort sein. Wenn ich hier war dachte ich an nichts anderes als wieder zurück zu gehen. Ich bin jetzt seit einer Woche hier. Warte auf meinen Einsatz. Werde allmählich mürbe. Jede Minute die ich in diesem Raum verbringe macht mich kraftloser. Jedes Mal wenn ich mich umblicke rücken die Wände etwas näher zusammen. Jeder bekommt was er verdient. Ich wollte einen Auftrag & es war ein wirklich erlesener Auftrag & als er zu Ende war wollte ich nie wieder einen“.
… während ich dem Fall des Glases zusehe, denke ich so etwas, es war ein Film, aber ich bin wirklich hier. Seit ich Ihren Auftrag angenommen habe, den Notausgang am Horizont zu suchen, bin ich viel gereist & habe viel gesehen. Ich habe mich immer an ihren Ratschlag gehalten, wohne wenn möglich, ausschließlich in Hotelzimmern mit Balkon & wechsle meine Socken täglich. Die Wahl des Hotels, des richtigen Raumes & die des Balkons ist für meine Mission entscheidend, denn so kann ich gleich nach dem aufwachen & spät in der Nacht noch einmal den Horizont absuchen. Ich habe den Irrawaddy mehrfach überquert, den Mekong bin ich hochgefahren, wurde von Moskitos gestochen, von Bettwanzen gebissen, den Ratten in der Holzdecke meines Zimmers habe ich gelauscht, habe schlechtes Essen in Yangon gegessen & bin durch Indochina 5200 km mit alten Bussen gefahren. Habe nach ihren Koordinaten Vietnam, Kambodscha, Laos, China, Frankreich, Österreich, Spanien, Italien, Portugal, die Türkei & sogar Burma bereist. Immer auf der Suche, den Blick auf den Horizont gerichtet. Zum Anfang zog ich mit einem großen Hunger los, Sehnsucht trifft es wohl am besten, dann wurde die Sehnsucht zur Neugierde, einem Verlangen, einer Sucht & doch je weiter ich reiste, desto mehr wurde mir klar: SIE sind überall. Nirgendwo auf der Welt war ich der Erste. Überall waren SIE schon, die Backpacker, die Schmarotzer, die Immobilien Scouts & die Investoren. Je schöner, je abgelegener, je unberührter der Ort, desto eher waren Sie da. Vielleicht gab es einmal den Moment als es noch einen Notausgang am Horizont gab, jetzt hängt dort nur noch ein Schild NO VACANT. Aber ich will nicht mit ihren Hoffnungen spielen, ziehen Sie selber los & suchen. Ich habe getan was ich konnte, sehen Sie sich meine Fotos an, die ich diesem Brief beilege & urteilen Sie selber.
… das Glas zerbricht auf der Strasse. Niemand stört sich daran, immerhin, ich bin in Saigon.
Mit besten Grüßen
Wolfgang B. Kampz März 2014, Halo Hotel, Room 401, Saigon, Vietnam